"stinka tut´s" von riemsche

"stinka tut´s" von riemsche

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Bis zu ihrem Tod, jedes Jahr zu Allerseelen zeitig früh am Morgen
hebelte meine Großmutter stöhnend und unter Aufbietung aller Kräfte
mit dem flachen Ende vom schmiedeeisernen Feuerhaken die unterste
tiefe schwere Massivholzschublade aus dem uralten Bauernschrank.
Darin lag - unter Wäsche gut versteckt - eine große dicke Pappschachtel
und in ihr - zwischen zwei Lagen scharf gebügelter Ausgehuniformen -
neben Orden und Feldpost zwei SS- Paradedolche ihres Bruders Hans.
Er - der ihr während eines hitzigen Streitgespräches über das Naziregime
bei seinem letzten Fronturlaub vom Küchentisch im Raum gegenüber
wegen einer etwas abfälligen Bemerkung über Führer und Kriegstreiberei
wütend das Brotmesser nachwarf - fiel kurze Zeit danach in Russland.
Immer wenn sie davon erzählte, untermalend grimmige Wegwerfbewegung
Richtung Kerbe im Türrahmen neben dem Holzherd, wo sie damals stand
als das Wurfgeschoss sie um Haaresbreite verfehlte, zitternd stecken blieb,
"Er hat danach ganz ruhig gesagt: ´Mitzi. Pass auf. Du verstehst das nicht.
Ich könnt vergessen, dass du meine Schwester bist und dich holen lassen.´
Der Bruder. Mein eigener Bruder sagt mir das mit Todernst ins Gesicht !"
Meist stellte sie die Schachtel, wie sie es nannte ´zum Lüften´ ans Fenster
nur einmal polierte sie - ich kam gerade von der Schule nach Hause -
beide Dolche samt Scheiden mit einem Lederhandschuh und einem Tuch
hauchte, wischte über Ebenholz, Elfenbein und fein zisilierten blanken Stahl
verstaute sie wieder sorgsam, verschnürte die Schachtel mit Doppelknoten
ging damit ins Schlafzimmer, schloss allein die Tür hinter sich - Geräusche -
nach einer ganzen Weile kam sie wieder, wusch sich die Hände, lächelte
ob meiner fragenden Blicke und flüsterte mir in Verschwörermanier ins Ohr
"Wenn irgendwann wer überraschend zu dir auf Besuch kommt und fragt:
´Was ist da los - was wird da g´spielt? Im ganzen Haus kein Führerbild?´
dann sag ihm: Ich soll Dir von meiner Oma selig Folgendes ausrichten:
´Redt kan Schmarrn. is gar ned woa - drauß´n am Scheißhaus hängen zwoa.´"
Das Jahr darauf am 31. Jänner starb sie mit Zweiundachtzig an Wassersucht
und das trauernde Schubladenräumkommando war sichtlich gut informiert
denn die braune Pappschachtel war und bleibt seither spurlos verschwunden.
Ich hoffe für den jetzigen Besitzer, dass er ihren Inhalt regelmäßig gut lüftet
denn - ob familiäre Knochenjäger oder Sympathisanten - mir stinken sie alle.

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